Weshalb muss ich als Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchführen?
Ohne Beurteilung keine Verbesserung. Sind die Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz nicht bekannt, kann sich auch niemand davor schützen. Eine der grundlegenden Aufgaben des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es, die Arbeitsbedingungen zu beurteilen, d.h. mögliche Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten festzustellen. Ermittelte Gefahren können durch Verbesserungsmaßnahmen abgestellt oder gemindert werden.
Quelle: Regine Rundnagel, ErgoOnline
Mögliche Gefahrenquellen im Arbeitsprozess
Das Arbeitsschutzgesetz verweist allgemein auf mögliche Gefahrenquellen. Sie werden zum Beispiel für Bildschirmarbeit in der Bildschirmarbeitsverordnung oder für Arbeitsstätten in der Arbeitsstättenverordnung durch Gestaltungsanforderungen konkretisiert. Die Gefährdung kann gegeben sein durch:
- die Arbeitsstätte: Verkehrswege, Beleuchtung, allgemeine Sicherheit
- den Arbeitsplatz: Mobiliar, Fläche
- die Arbeitsumgebung: physikalische, chemische und biologische Einwirkungen wie Lärm, Klima, Gefahrstoffe
- die Arbeitsmittel: Maschinen und Geräte, z.B. Bildschirm
- Arbeitsstoffe, z.B. Lösungsmittel
- Arbeitsabläufe, Arbeitsverfahren
- Arbeitszeit, z.B. Nachtarbeit
- unzureichende Qualifikation und Unterweisung über Gefahren
- das Zusammenwirken von Technik, Organisation, Menschen und sozialen Beziehungen
Die aufgezählten Gefährdungsbereiche im Gesetz sind nicht abschließend, es kommt auf die jeweilige betriebliche Situation an. Ausgangspunkt ist der grundsätzliche Anspruch, den der Gesetzgeber im Arbeitsschutzgesetz fordert: die Vermeidung von Unfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingter Erkrankungen und die menschengerechte Gestaltung von Arbeit. Prävention, wie sie hier als Leitbild definiert wird, nutzt dem Unternehmen und den Beschäftigten, weil es Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten langfristig erhält. Die Gefährdungsbeurteilung ist Voraussetzung hierfür.
Eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der dort möglichen Gefähdungen sollte entlang der Arbeitsprozesse im Unternehmen durchgeführt werden, denn nur so ist es möglich, Gefährdungen vollständig zu erfassen.
Verpflichtende Rechtsgrundlagen
Seit Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes 1996 ist die Gefährdungsbeurteilung gesetzliche Vorschrift. Die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung ist auch in der Berufsgenossenschaftlichen Vorschrift (Unfallverhütungsvorschrift) DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ geregelt:
Rechtlich bindende Vorschriften zur Gefährdungsbeurteilung | |
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Arbeitsschutz- gesetz § 5 |
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Arbeitsschutz- gesetz § 3 |
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Arbeitsschutz- gesetz § 6 |
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DGUV V 1 |
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Bildschirmarbeits- verordnung § 3 Arbeitsstätten- verordnung § 3 Betriebssischer- heitsverordnung § 3 Biostoff- verordnung § 4 Gefahrstoff- verordnung § 6 |
Wirksamkeitsprüfung und Dokumentation
Die Überprüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Vermeidung oder Minderung von Gefährdungen ist ein selbstverständlicher Schritt im systematischen Arbeitssschutz. Das kann z.B. die Prüfung der Wirkung technischer Maßnahmen sein, wie Lärmmessungen oder Befragungen der Betroffenen nach Einbau einer Lärmdämmung, oder die Prüfung der Umsetzung von Regeln zu sicherheitsgerechtem Verhalten, wie die Anweisung zur Nutzung von Aufstiegshilfen.
Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung, der Ergebnisse, der Maßnahmen und ihrer Überprüfung auf Wirksamkeit bietet die Grundlage, Entwicklungen nachzuvollziehen und Erfolge aufzuzeigen. Sie ist also nicht allein eine Nachweispflicht für die staatlichen Arbeitsschutzbehörden oder die Berufsgenossenschaften, sondern ein Schritt zu einem Arbeitsschutzmanagement.
Anlässe der Beurteilung
- im Planungsstadium von Arbeitsplätzen (vorausschauende, prospektive Gefährdungsbeurteilung),
- ein Arbeitsplatz in Betrieb genommen wurde
- Arbeitsplätze und Arbeitsaufgaben sich grundlegend ändern und damit die möglichen Gefährdungen,
- Beschäftigte wechseln und sich dadurch Gefährdungen ändern,
- Personen nach Krankheit wieder eingegliedert werden sollen,
- oder wenn auf die Tätigkeit zurückführbare Beschwerden auftreten
muss eine erneute Beurteilung der Arbeitsbedingungen erfolgen.
Beteiligung und Mitbestimmung
Die aktive Einbeziehung und Information der Beschäftigten ist sehr zu empfehlen. Sie wird sogar von den überbetrieblichen Arbeitsschutzinstitutionen gefordert (vgl. GDA-Leitlinie). Die Beteiligung der Beschäftigten kann sich beziehen auf:
- Information über die Art und Weise der Gefährdungsbeurteilung
- beteiligungsorientierte Analyseverfahren (Mitarbeiterbefragungen, Gesundheitszirkel)
- beteiligungsorientierte Lösungssuche (Zirkel, Workshops)
- Information über die Ergebnisse und die ergriffenen Maßnahmen
- Unterweisung zu den festgestellten Gefährdungen und präventivem Verhalten
Durch Partizipation werden Beschäftigte sensibilisiert und akzeptieren Verbesserungsmaßnahmen eher, wenn sie selbst daran mitarbeiten können. Das stärkt Eigenverantwortung für gesundheitsgerechtes Verhalten. Im Rahmen der Unterweisung haben die Beschäftigten das Recht, über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und die getroffenen Maßnahmen informiert zu werden. Ohne diese Informationen können sie sich nicht sicherheits- und gesundheitsgerecht verhalten.
Fachkunde
Eine systematische Analyse aller möglichen Gefährdungen und ihre Beurteilung hinsichtlich des Risikos für die Sicherheit und die Gesundheit erfordert Fachkunde. Beratend stehen hierzu die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt zur Verfügung. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gehört nicht automatisch zu ihren Aufgaben, zumindest nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Einsatzzeiten. Spezielle Fachkunde kann erforderlich sein bei der Prüfung der Arbeitsmittel auf Elektrosischerheit (Elektrofachkraft) oder der Lärmmessung zur Bestimmung des Beurteilungspegels .
Planung
Sinnvoll ist es, das Vorgehens zu planen, die verantwortlichen Personen, die Verfahrensschritte festzulegen und in größeren Betrieben ein Analyseteam zu bilden. Der Gesetzgeber schreibt keine konkrete Methode vor. Die Berufsgenossenschaften verweisen auf einen notwendigen SOLL-IST-Vergleich mit dem gesetzlichen Vorschriften und dem technischen Regelwerk. Werden diese als Beurteilungskriterien für das Gefährdungsrisiko genutzt, besteht Rechtssicherheit für die Verantwortlichen.
Kontinuierlicher Prozeß
Die Gefährdungsbeurteilung ist kein einmaliger Vorgang. Die Verpflichtung Verbesserungs-maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, macht es erforderlich, im Betrieb ein regelmäßiges Verfahren zur Gefährdungsanalyse zu etablieren. Auch fordert das Arbeitsschutzgesetz, die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten anzustreben. Damit wird der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb als ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess verankert, so wie alle anderen Prozesse des Qualitätsmanagements in einem Unternehmen.
Besondere Anlässe
Das Mutterschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber bei Beschäftigung einer werdenden oder stillenden Mutter die erforderlichen Maßnahmen zu ihrem Gesundheitsschutz zu treffen. Die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz fordert dazu konkretisierend die rechtzeitige Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Auch mögliche Gefährdungen durch Stress müssen hierbei berücksichtigt werden.
Kehrt ein erkrankter oder verunfallter Beschäftigter, oder ein Beschäftigter der schwerbehindert oder von Schwerbehinderung bedroht ist, in den Betrieb zurück, ist in einem Wiedereingliederungsgespräch nach SGB IX der Einsatz am alten Arbeitsplatz zu klären. Dies erfordert möglicherweise eine Analyse der dortigen Gefährdungen vor dem Hintergrund der Möglichkeiten des Rehabilitanten – auch wenn dies evt. nur vorübergehend ist. Eine Prüfung muss auch für einen Einsatz auf einen neuen Arbeitsplatz erfolgen.
Prüfung der Qualität
Die staatlichen Aufsichtsbehörden, die für den Vollzug des Arbeitsschutzgesetzes zuständig sind, überprüfen in Betriebsbesichtigungen auch die Qualität der Gefährdungsbeurteilung. Grundlage dafür ist die GDA Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation. Geschaut wird nach
- Vollständigkeit – Berücksichtigung aller Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Gefährdungs- und Belastungsfaktoren
- Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen
- verständliche Unterweisungen
- Regelmäßigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
Quelle: ErgoOnline